Der nachdenkliche Norweger
(Rheinischer Merkur vom 26.09.2002)
Termin mit Morten Harket. Sein Bild hing
in den Achtzigern über vielen Teeniebetten. Jetzt ist er wieder da
und singt sich mit der Kultband A-ha in ganz neue Erfolgshöhen.
Wie würde
ein Reisemagazin Norwegen filmisch perfekt in Szene setzen? Den Anfang
machte wohl ein Besuch beim norwegischen Königshaus, gefolgt von
einigen Skisprunggrößen in Aktion. Dann die malerischen Fjorde, die
umrahmt vom Licht des Sonnenuntergangs sich im Nebel den neugierigen
Blicken beinahe entziehen. Aber auch ein musikalischer Exportschlager
Norwegens darf nicht fehlen: Der A-ha-Effekt ist bei dem Namen Morten
Harket garantiert. Der Sänger der Band mit melancholisch romantischen
Nummer-eins-Hits wie "Hunting High And Low", "Take On
Me" oder "Crying In The rain": A-ha. Die drei smarten
Jungs (Harket, Keyboarder Magne Furuholmen und Gitarrist Pål
Waaktaar-Savoy) spielten sich in den Achtzigern in die Teenager- und
in manche Mittzwanzigerherzen.
Text zum Bild: Originalton: "Die Musik von A-ha
spricht, glaube ich, die Leute an, die an die Kraft des Träumens
glauben. So wie wir selbst. Das Gefühl von Bittersüße und Verlust
kommt uns sehr nahe. Vielleicht weil wir alle drei äußerst
nachdenklich verträumte Menschen - eben einfach Norweger - sind".
(Morten Harket im RM-Gespräch)
Kurz vor Beginn ihrer aktuellen Deutschlandtournee bittet
der norwegische Sänger zur Audienz. Entspannt zurückgelehnt meint
er: "Schauen wir uns doch erst einmal ein Video an." Nach
dem filmischen Ausflug mit "Did Anyone Approach You?" macht
sich Unruhe breit, denn der Geruch von Verbranntem liegt in der Luft.
Die Ursache ist schnell gefunden, ein Kabel am Videorekorder schmort
vor sich hin. Lässig die Arme verschränkt, kommentiert Harket
schelmisch: "Keine Panik! Ich wusste gar nicht, dass das Video so
heiß ist!"
Die Jungs von damals müssen ihn beneidet haben. Ein Mädchenzimmer,
in dem er nicht von einem treffsicher über dem Bett platzierten
Poster versonnen nachdenklich blicken durfte, hatte Seltenheitswert.
Nicht weiter verwunderlich, denn auch heute noch besticht der 43-Jährige
durch seinen jugendlichen Charme und seine körperliche Fitness, die
ihn fast unheimlich jung erscheinen lässt.
Vielleicht liegt sein Geheimnis in der von ihm
favorisierten Blutgruppendiät. "Mein Freund Jan empfahl mir
diese Diät. Ich esse seitdem viel Gemüse und Fleisch, verzichte
allerdings auf Kartoffeln und Brot. Ich rauche nicht, nun ja, ich lebe
sehr gesund." Die Klatschspalten der Boulevardpresse konnten
vergeblich auf Drogenskandale oder einen ausschweifenden Lebensstil
des Künstlers warten. Lächelnd führt er aus: "Das Einzige, was
man bei A-ha pflichtgemäß aufsaugt, ist elektronischer Rauch. Wir
produzieren mit der Musik so viele Drogen, dass wir nie welche
brauchten." Charismatisch wirkt sein taxierender Blick und
sympathisch seine offene Art. Kritisch bemerkt er: "Ich erkenne
genau, wann jemand mit mir als Person spricht oder mit der Berühmtheit.
Ich war schon immer ein Mensch, der gern hinterfragt."
Das musste er auch, spätestens als der Starkult losbrach.
Das Dreiergespann war das perfekte Schwärmobjekt. Sie hatten alles,
was dazugehört, um auf diesem Popplaneten erfolgreich zu sein: gutes
Aussehen und Hits. Bis heute zählt "Take On Me" zu einem
der beeindruckendsten Musikvideos der ersten Stunde. Dieser zwischen
Zeichentrickfilm und Realität angesiedelte Clip ließ das A-ha-Fieber
weltweit grassieren.
Acht MTV-Awards, 16 internationale Hitsingles, 6
Platinalben und der Titelsong zum James-Bond-Film "Der Hauch des
Todes", die Erfolgsstory liest sich gut. Ruhig, aber bestimmt
stellt Morten fest: "Es war leicht, uns als Boy-Group zu
vermarkten. Am Anfang fühlte man sich so enthusiastisch, zum Schluss
war es wie im Zirkus! Heute wissen wir genau, was wir möchten und was
nicht." Das Korsett des Musikbusiness wurde ihm bald zu eng:
"Ich fühlte mich nicht mehr als Mitglied der Gesellschaft,
sondern isoliert und stigmatisiert. Mir persönlich half in dieser
Zeit mein starkes Gefühl für Individualität, um mit dem Starkult
klarzukommen. Das ist etwas, was mich ganz tief drinnen seit meiner
Kindheit begleitet hat." Im Gegensatz zu gleichaltrigen Jungs
beschäftigte sich Morten Harket lieber mit Orchideen und Insekten,
anstatt mit anderen Fußball zu spielen.
In der kleinen 20000-Seelen-Stadt Kongsberg geboren und
aufgewachsen, hatte er eine recht behütete Kindheit. Der kleine
Morten bekam Klavierunterricht, und die Klassik prägte seine
musikalische Entwicklung. Vom wilden Rock 'n' Roll oder Pop wusste er
noch nichts - bis zu seinem 16. Lebensjahr.
Ein Album von Uriah Heep wurde zum Schlüsselerlebnis:
"Die Fähigkeit zu singen ist viel mehr in deinem Blut als bloß
in den Stimmbändern. Meine Entscheidung stand fest, ich wollte Sänger
werden."
Trotz der triumphalen Erfolge in den Achtzigern, der
Sprung in die neunziger Jahre machte A-ha erhebliche Probleme. Der aus
Seattle überschwappende Grunge feierte Erfolge mit seinem "Schmuddel-Image",
mit dem der Kuschelpop nicht mehr mithalten konnte. Ihr Album
"Memorial Beach" von 1993 lag wie Blei in den Musikregalen
und bildete den dicken Tropfen, der das Fass der Enttäuschung zum Überlaufen
brachte.
Das Trio entschied sich, seine Musikerzelte abzubrechen,
ohne jedoch eine offizielle Erklärung zum Ausstieg abzugeben. Die
Option der Rückkehr blieb somit erhalten. Harket weiß: "Wir
mussten einfach eine Pause machen. Eine Band ist wie eine Beziehung,
du musst sichergehen, dass es dem Partner gut geht." Die Band lag
musikalisch am Boden, und die zwischenmenschlichen Bande bewegten sich
um den Gefrierpunkt. Harket zog sich nach Norwegen zurück.
10. Dezember 1998, Oslo, Friedensnobelpreisverleihung. Die
getrennten Wege kreuzen sich wieder bei einem Auftritt. Danach treffen
sich die drei häufig und reden viel. 1999 kommt dann die
Entscheidung, ein Comeback zu wagen. Harket findet eine Äußerung des
Bandkollegen Magne Furuholmen sehr treffend und will dem auch nichts
hinzufügen: "Es ist eine Art norwegische Tradition. Wir machen
das so mit gefangenem Fisch. Wir lassen ihn sieben Tage lang in einem
Tank, bevor wir ihn essen. Na ja, wir brauchten eben sieben Jahre, um
uns zu reinigen, um gemeinsam den richtigen Weg zu finden."
Den richtigen Weg finden ist ein Stichwort für Harket.
Der größte Einschnitt in seinem Leben hat nichts mit der Band zu
tun. Es war die Trennung von seiner Frau, Camilla Malmquist, seiner
Tochter und den beiden Söhnen. Für ihn ist der Weg klar: "Eine
Trennung lässt nicht die Verantwortung als Elternteil entfallen. Wenn
man Kinder hat, lebt man irgendwie doch noch zusammen!"
Die Kritik, eben nur eine "dieser
Achtziger-Jahre-Bands" zu sein, kann der Sänger nicht mehr hören:
"Ein Wiederaufleben dieser Bands braucht niemand. Meine Lederarmbänder
von damals habe ich längst entsorgt. Diese Zeit war ein riesiger
Marzipankuchen, zu viel klebrige Füllung, zu dünner Boden."
Sichtlich stolz ist er auf das Comeback-Album "Minor Earth, Major
Sky" aus dem Jahr 2000: "Keiner von uns konnte mit einem
derartigen Erfolg rechnen!" Längst ist ihnen der Sprung von der
Teeniegruppe wider Willen zu einer gestandenen Band des 21.
Jahrhunderts gelungen. Die Achtziger sind passé! Geblieben ist der
Erfolg, dazugekommen der Mut zur Veränderung.
Abseits der A-ha-Popwege schreibt Morten verstärkt eigene
Songs, hauptsächlich in seiner Muttersprache. Seine fast manische
Liebe zur zeitgenössischen Kunst und sein Hobby, exotische Korallen
und Fische zu züchten, passen zwar nicht so ganz in das Klischee
eines Popstars, spiegeln sich aber in seinem musikalischen Anliegen
wider: in andere Klang- und Sprachwelten einzutauchen. Mit der in
Asien sehr erfolgreichen pakistanischen Band "Junoon"
(Leidenschaft) sang er den Song "Piya" auf Urdu ein. In
seinen Soloprojekten nutzt er bewusst die Musik als Brücke zu den
Texten norwegischer Nachkriegsdichter. Auch traditionelle oder religiöse
Inhalte finden sich in seinen Liedern. Der Perfektionist präzisiert
den Anspruch an sich selbst: "Zeitlose und dauerhafte Songs zu
schreiben, wie pathetisch das auch klingen mag!"
Pathetische Worte oder der messianisch auf das Gewissen
der Menschheit zielende Zeigefinger sind dennoch nicht sein Ding. Ganz
selbstverständlich und ohne großen Wirbel verzichtete die Band, alle
drei Väter, auf ihre Gage, bei einem Auftritt im norwegischen
Grimstad zugunsten der Stine-Sofie-Stiftung. Anliegen der Stiftung ist
der Schutz von Kindern vor Gewalt und sexuellem Missbrauch.
Die Musik und ihre Videos sollen Botschafterinnen ihrer
Gedanken und Gefühle sein. Harket gefällt die Vorstellung, bei den
Tourneen Ländergrenzen zu überschreiten. Als der Eiserne Vorhang
noch existierte, hatte die Jugend im Osten Europas kaum die Chance, an
Alben internationaler Stars zu gelangen. Neben dem Schwarzmarkt war
die letzte Rettung das offene Ungarn. "Auch wenn wir noch nie in
Polen aufgetreten sind, war unsere Musik schon präsent. Trotzdem ist
das Publikum dort für uns eine Neuentdeckung."
Ganz neue Seiten entdeckten A-ha auch an sich selbst. Zu hören
sind diese auf dem aktuellen Album "Lifelines". Vielleicht
liegt es daran, dass Morten Harket verstärkt als Komponist in
Erscheinung tritt, jedenfalls scheint die Chemie zwischen den drei
Individualisten zu stimmen. "Dadurch, dass jeder außerhalb von
A-ha sein eigenes Ventil hat, sind wir auch zusammen viel kreativer",
urteilt Harket. Der Friedensvertrag mit sich und der Umwelt ist
geschlossen.
Dank an Puffin
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