Melancholie, nicht nur in der Südsee
(Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 04.10.2002)
Auch im Norden Europas schläft man nicht: "Saybia" und
"A-ha" gastieren in Frankfurt
Seit je und in Zeiten sogenannter Globalisierung womöglich noch
mehr wird es als Besonderheit vermerkt, wenn eine Band, die gute
Popmusik macht, nicht aus Amerika oder Großbritannien kommt. Daß
aber auch außerhalb der Mutter- und Stammländer, nämlich vor allem
im Norden, Vorzügliches geleistet wird, wissen wir seit "Abba",
der ersten bedeutenden skandinavischen Band, die für die siebziger
Jahre die Maßstäbe für kommerziellen Erfolg setzte. Als deren
Nachfolger traten Mitte der achtziger Jahre die drei Norweger von
"A-ha" auf den Plan, die irgendwie gespürt haben müssen,
daß man ein Jahrzehnt, in dem man vor allem mit Rap, Hip-Hop oder
eben Britpop reüssieren kann, am besten im Winterschlaf verbringt. So
hatten sie fast die ganzen neunziger Jahre hindurch Sendepause.
Vor zwei Jahren tauchten sie mit dem gediegenen Album "Minor
Earth Major Sky" wieder auf, gingen auf Tournee und bestätigten
auf diese Weise erneut, daß man auch mit Anspruch gefällig
aufspielen kann. Die Hürde eines Nachfolgewerks, einer zweiten Platte
nach dem so überaus gelungenen Comeback, meisterten sie mit "Lifelines"
genauso elegant, wie sie eine weitere Deutschland-Tournee
absolvierten, die nun in der Frankfurter Festhalle zu Ende ging.
Es ist bei großen Bands üblich, daß bei ihnen im Vorprogramm
Bands auftreten, die nicht das Format haben, ihnen den Rang abzulaufen
- für die Stimmungsanheizer normalerweise eine undankbare Aufgabe.
Spielen sie schlecht, reagiert das Publikum demonstrativ mit Mißachtung
und freut sich desto mehr auf die eigentliche Attraktion; spielen sie
gut, dann meistens doch nicht so gut, daß die Begeisterung im Saal frühzeitig
aufgebraucht wäre. Manche Band freilich hat aus einer Situation, in
der es eigentlich nichts zu gewinnen gibt, schon Profit geschlagen;
mit ein wenig Spielwitz und Dreistigkeit läßt sich da viel
erreichen.
"A-ha" hatten sich für eine zumindest in Deutschland so
gut wie unbekannte Band entschieden: "Saybia" aus Dänemark,
deren nach einer Anlaufzeit von fast zehn Jahren eingespieltes Debütalbum
nun auch in Deutschland erschienen ist. "The Second You Sleep"
ist nicht nur aufgrund des originellen Titels eine bemerkenswerte
Platte. Elf Popsongs, die sich klanglich gar nicht mal sehr von "A-ha"
unterscheiden und zum Teil verblüffend ähnlich intoniert werden,
aber insgesamt mehr dem einschlägigen Britpop verpflichtet und in
ihrem Einfallsreichtum dem, was die Norweger zu bieten haben, überlegen
sind. Da gibt es wunderbar melodische Lieder wie den Titelsong "The
Second You Sleep", das Klagelied eines Mannes, der die schlafende
Liebste betrachtet und weiß, daß er sie nicht halten kann: "I
dream of you tonight / tomorrow you'll be gone / I whish by god you'd
stay." Das klingt banal und ist es im Grunde auch, aber es ist
schön.
Es gibt ferner Songs wie "Fools Corner", "Still
Falling" oder "Empty Stairs", die nicht den Anspruch
auf Neuerung erheben, vielmehr als Musterstücke anrührender
Melancholie über den Abend hinaus in Erinnerung bleiben werden. Die fünf
jungen Dänen gaben sie ganz ohne Schnörkel zum besten,
unaufdringlich, aber mit dem Selbstbewußtsein einer Band, die nicht
gewillt schien, es mit der Reverenz für berühmtere Kollegen zu übertreiben.
Verglichen damit, wirkten "A-ha" routiniert. Sie
schreiben immer noch schöne Lieder, die Morton Harket mit hoher
Stimme auch einer nachwachsenden Generation schmackhaft zu machen weiß.
Das Repertoire aber offenbarte nach dem ungewöhnlich guten
Vorprogramm etwas Holzschnittartiges. Die Songs klangen plötzlich
kalkuliert, muskulös und zwingend zwar, aber man hatte doch das Gefühl,
daß die lange Zeit und nach ihrer Rückkehr aufs neue unangefochtenen
Meister aus dem Norden sich die Publikumsgunst fortan teilen müssen
mit nachbarschaftlicher Konkurrenz, die in diesem Herbst ohnehin stark
ist, aus der "Saybia" aber hervorragen. Nach dem Debüt wird
die Band es leicht haben, demnächst selber durch den Abend zu führen.
Dieser jedenfalls weckte schöne Erwartungen.
Dank an Mechthild
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