Erklär mir die Welt in vier Minuten
(Berliner Tagesspiegel vom 27.09.2002)
Fönfrisuren und Zauberwürfel: Die Pop-Band A-ha hat den
Achtzigern ihr Gesicht gegeben. Ein Rückblick
Im Jahr 1987 wird Captain William "Buck" Rogers bei einer
Havarie seines Raumschiffs in einen menschlichen Eiszapfen verwandelt.
500 Jahre lang treibt er in seiner Kapsel durchs Weltall, bis er
schließlich von einer bösartigen außerirdischen Population
aufgetaut wird, die ihn zum Werkzeug ihrer Invasionspläne machen
will. Auf der Erde, die sich gerade von einer nuklearen Katastrophe
erholt, sorgen Bucks altmodische Überzeugungen zunächst für
Heiterkeit, schließlich aber retten sie die Welt.
Niemand würde behaupten, dass Morten Harket die letzten 500 Jahre
durch den Weltraum irrte. Aber manchmal erweckt er den Anschein, als
habe er zumindest die Neunzigerjahre in tiefgefrorenem Zustand
verbracht. Mit seinen 43 Jahren hat er ein verdächtig jugendliches
Aussehen bewahrt. Seine Stimme klingt noch genau so hell und klar wie
damals, als er mit "Take on me" seinen ersten Welthit landete. Er
trägt noch immer schmerzhaft enge Hosen. Und auch die kulturellen
Errungenschaften der letzten Dekade scheinen an ihm und seiner Band A-ha
vorübergegangen zu sein, ohne Spuren hinterlassen zu haben.
Morten
Harket und seine Mitstreiter Magne Furuholmen und Paul Waaktaar-Savoy
feierten ihre größten Erfolge in den Achtzigerjahren. Wenn heute von
dieser Dekade die Rede ist, begnügt man sich meist mit der
nostalgischen Aufzählung von gewagt modischen Accessoires und nebensächlichen
Utensilien, die von heute aus betrachtet, nur noch kurios wirken.
Zauberwürfel zum Beispiel. Selten wird erwähnt, dass die Kunstform
des Popsongs als Vier-Minuten-Einheit in den Achtzigern ihren Zenith
erreichte. Nach diesem Höhepunkt löste sich die Popmusik
folgerichtig in den repetitiven Mustern von Techno und House auf.
Sicher, auch in den Sechzigern wurden großartige Stücke geschrieben,
aber nie zuvor stand der Song so endgültig und unantastbar da wie bei
"Careless Whisper" von George Michael, "Save A Prayer" von
Duran Duran oder "Dancing With Tears in My Eyes" von Ultravox.
Oder eben wie bei einem halben Dutzend Songs von A-ha.
Synthiepop-Opern wie "Manhattan Skyline" und "The Sun Always
Shines on TV" waren mehr als ein Produkt ihrer Dekade, sie
perfektionierten das Zusammenspiel von ergreifenden Melodien und
dramatischen Effekten. Und über allem entschwebte die Stimme von
Morton Harket zu immer neuen Höhen.
Dabei wollte Harket gar kein Popstar werden, sondern Priester. Er
war mit klassischer Musik aufgewachsen und hatte bereits mit vier
Jahren das Klaverspielen erlernt. Mit 16 fing er an, sich für
Popmusik zu interessieren und gab später sein Theologie-Studium auf,
um sich seiner Band zu widmen. Vielleicht glaubte er, von der Bühne
aus mehr Trost verbreiten zu können, als wenn er auf einer Kanzel stünde.
Für einen Gottesdiener sah er ohnehin viel zu gut aus.
Zwar galt Harket bei den Kritikern als läppische Kopie des
vitalen Duran Duran-Frontmanns Simon LeBon. Doch die Schulmädchen
ritzten seinen Namen in ihre ledernen Mäppchen ein. Den Jungs war es
eigentlich zu peinlich, A-ha zu hören, aber sie beschwerten sich auch
nicht, wenn ihr Pausenhofschwarm die Vorhänge zuzog, eine Duftkerze
anzündete und "Hunting High and Low" auflegte. Harkets
eigenartig leeres und glattes Gesicht schien ungefähr so viel mit der
Realität zu tun zu haben wie das letzte Einhorn. Solche Entrückungen
spiegelten sich auch in dem Videoclip zu "Take on Me" wieder: Ein
junges Mädchen blättert gelangweilt in einem Comic. Morten Harket
ist der Held dieses Comics. Er fängt plötzlich an, ein Eigenleben zu
führen und gegen sein Gefängnis aus schwarzweißen Kästchen zu
rebellieren. Die Sequenzen springen zwischen animierten Figuren und
menschlichen Darstellern hin und her. Am Ende rettet das Mädchen
Morten aus dessen Gefängnis, und Morten befreit das Mädchen.
A-ha waren die großen Teenie-Stars ihrer Zeit. "Als wir unsere
Karriere starteten, waren wir unglaublich naiv", erinnerte sich
Harket vor zwei Jahren in einem Interview. "Der Erfolg hat uns überrollt:
Millionenverkäufe, überfüllte Terminkalender und der Verlust
jeglicher Privatsphäre. Unsere Plattenfirma nutzte die Gunst der
Stunde. Wir selbst wären darüber beinahe kaputt gegangen." A-ha
fügten sich den Spielregeln der Branche. Doch im Gegensatz zu den
Teenie-Idolen, die folgen sollten, komponierten A-ha ihre Songs
selbst. Als ihre Fans erwachsen wurden, versuchte es das Trio mit
authentischen Rock-Klängen, doch die hörten sich unechter an als die
vollsynthetischen Hymnen ihrer Anfangstage. Schließlich konnte man
ihre Platten für ein paar Groschen auf dem Flohmarkt kriegen.
Meistens waren Adressaufkleber mit vierstelligen Postleitzahlen hinten
drauf.
Nach glücklosen Soloprojekten und Ausflügen in die bildende
Kunst entschieden sich A-ha vor zwei Jahren für einen Neuanfang. Es
gelang ein fulminantes Comeback. Warum, das wusste keiner so genau.
Vielleicht lag es daran, dass die Sehnsucht nach großen, endgültigen
Songs mit ihnen zurück gekommen war. Denn längst sind die Norweger
rehabilitiert. Selbst ein notorischer Melancholiker wie Chris Martin,
der gerade mit dem zweiten Album seiner Band Coldplay die Spitze der
deutschen Charts stürmte, setzt sich gegen Ende seiner Konzerte gerne
alleine ans Klavier und spielt "Hunting High and Low". Der
britische "Guardian" behauptete sogar, dass A-ha zu den am
meisten unterschätzten Genies aller Zeiten gehören. Das Cover ihres
Comeback-Albums "Minor Earth Major Sky" zeigt übrigens das Wrack
eines Cockpits im Wüstensand. Es sieht aus wie eine Raumkapsel, die
nach einer endlosen Space-Odysee vom Himmel gefallen ist.
Dank an Mechthild und Verni
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